Das bedingungslose Grundeinkommen

Von: Stefan Andromis Herbert – Datum: April 2022

Im Jahre 2008 begann ich mich mit dem bedingungslosen Grundeinkommen (kurz BGE) zu beschäftigen. Besonders inspirierte mich dazu ein Vortrag von dem Unternehmer Götz Werner, dem Gründer der dm Drogeriemarktkette. Er engagierte sich viele Jahre lang für das Grundeinkommen und hatte in seinem Unternehmen auch ein anderes Bewusstsein von Arbeit eingebracht. Er ist leider im Februar dieses Jahres verstorben.

Aus seiner Sicht verknüpft unsere Gesellschaft Arbeit mit Einkommen, das heißt, wir arbeiten, um Einkommen zu erhalten. Genauso verhält sich auch der Staat, wenn er die Unternehmen subventioniert, in der Hoffnung, dass sie dadurch Arbeit schaffen, damit die Menschen auf diese Weise ihr Einkommen erhalten. Dieses „Einkommen schaffen auf Umwegen“ funktioniert aber oftmals nicht. Denn Unternehmen investieren das gesparte Geld manchmal lieber in Automatisierung anstatt Arbeitsplätze zu schaffen oder setzen die Löhne so niedrig an, dass die Arbeitnehmer davon nicht existieren können und mit Harz IV aufstocken müssen.

Aus der Sicht von Götz Werner wäre es einfacher, den Menschen das Einkommen direkt zu geben und sie dann die Arbeit machen zu lassen, die ihnen liegt. Für ihn ist es immer schwer gewesen, den Wert seiner Angestellten in Geld zu bewerten. Deshalb ist er in seine Vorstellungsgespräche mit dem Gedanken hineingegangen, dass er einer neuen Mitarbeiterin oder einem neuen Mitarbeiter so viel Geld zahlen möchte, dass diese gut versorgt sind und dadurch ihre Arbeit für das Unternehmen gerne machen.

Wie sieht nun das Grundeinkommen praktisch aus? Der Staat würde ein monatliches Einkommen an jeden Bürger auszahlen, vom Säugling bis zum Greis. Der Betrag könnte gestaffelt sein, ca. 1500 Euro für Erwachsene und etwas weniger für Kinder. Gemäß der Definition vom Netzwerk Grundeinkommen (Webseite www.grundeinkommen.de), sollten dabei die vier folgenden Grundregeln berücksichtigt werden:

1. Die Existenz sichern und eine gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen
2. Einen individuellen Rechtsanspruch darstellen
3. Ohne Bedürftigkeitsprüfung ausgezahlt werden
4. Ohne Zwang zu Arbeit oder anderen Gegenleistungen garantiert werden

Damit ermöglicht das BGE, dass jeder Mensch jenen Tätigkeiten nachgehen kann, die er gerne macht, die ihn erfüllen und seinem Leben einen Sinn geben. Dann müssen wir keine „Brotjobs“ mehr machen, also Tätigkeiten ausüben, die wir nur des Geldes wegen tun. Das wäre für mich ein grundlegender Bewusstseinswandel in der Gesellschaft. Die vier Regeln sind mir ein Muss, sonst wäre es nicht jenes Grundeinkommen, für das ich mich einsetzen kann.

Ich gebe zu, dass die Gesellschaft heute teils noch nicht so weit ist, damit es eingeführt werden kann. Aber gerade in der Diskussion um die immer mehr fortschreitende Digitalisierung und die Zunahme von Computersystemen mit künstlicher Intelligenz, wird das BGE für mich hoch aktuell. Mit diesen Veränderungen erfahren wir in den nächsten 20 Jahren eine technische Entwicklung, durch die immer weniger Arbeitsplätze notwendig sind und deshalb immer mehr Menschen arbeitslos werden. Das BGE ist für mich deshalb ein wichtiger Teil einer Lösung, mit der wir uns jetzt schon beschäftigen sollten, um auf die Veränderungen in der Zukunft gesellschaftlich vorbereitet zu sein.

Das am häufigsten erwähnte Argument gegen ein Grundeinkommen ist jenes, dass keiner mehr arbeiten würde, wenn alle genug Geld zum Leben hätten. Ich bin da anderer Meinung. Ich sehe, dass jeder Mensch das Bedürfnis hat, einer Tätigkeit nachzugehen, mit der er oder sie der Gesellschaft dient und gleichzeitig seinem oder ihrem Leben einen Sinn zu geben vermag. Und da wir Menschen alle verschieden sind, gibt es für mich auch solche, die gerne Müllmänner werden oder Büroräume putzen würden.

Dies funktioniert aber womöglich erst, wenn eine wichtige Voraussetzung erfüllt wäre: Solche „schmutzigen“ Tätigkeiten müssten gesellschaftlich anerkannter sein. Aus meiner Sicht tut eine Putzfrau auch eine wertvolle Arbeit innerhalb eines Konzerns. Sie kümmert sich darum, dass es den Konzernmanagern in ihren Büroräumen wortwörtlich nicht „stinkt“. Doch weil sie nicht studiert hat, für das Unternehmen nicht so existenzielle Entscheidungen fällen muss und keine Mitarbeiterverantwortung hat, ist ihre Tätigkeit weniger anerkannt.

Dann kommt immer das Argument, dass wir damit die Faulheit der Menschen unterstützen würden. Doch das geschieht jetzt schon, denn solche aus gesellschaftlicher Sicht „untätige“ Menschen, die durch unsere Sozialsysteme finanziert werden, gibt es bereits, und ich glaube nicht, dass es mit dem BGE wesentlich mehr sein werden.

Aus meiner Sicht ist der Mensch nicht von Grund auf faul. Dies sind Kinder zum Beispiel auch nicht. Sie finden immer etwas, mit dem sie sich die Zeit vertreiben und damit kreativ sein können. Dies verlernen sie allerdings durch das derzeitige Bildungssystem, und später als Erwachsene wissen sie mit ihrer Freizeit oft nichts Konstruktiveres mehr anzufangen, als die Abende vor dem Fernseher zu verbringen.

Anderseits sind wir oft auch so in der Erwerbs- und Lebenserhaltungsmühle gefangen, dass wir gar nicht wissen, was unsere Fähigkeiten oder Potentiale sind, was uns wirklich erfüllt und welche Tätigkeiten wir wirklich gerne machen. Deshalb wäre mit der Einführung des Grundeinkommens für viele Menschen eine Schulung oder ein Coaching für die eigene Potential-Entwicklung sinnvoll. Dies ist aus meiner Sicht sogar eine Voraussetzung, damit eine Gesellschaft mit einem bedingungslosen Grundeinkommen stabil funktioniert.

Wir sollten auch endlich damit aufhören, Erwerbstätigkeiten von anderen Tätigkeiten zu unterscheiden. Die anderen Tätigkeiten, wie gemeinnützige Arbeit in Vereinen oder Wohlfahrtsverbänden oder die Kindererziehung in den Familien, sind in unserer Gesellschaft genauso notwendig und wertvoll. Es gibt nur einen Unterschied: Sie erhöhen nicht das Bruttoinlandsprodukt. Diese gemeinnützigen Arbeiten wären durch ein Grundeinkommen allerdings gesellschaftlich gewürdigt.

Eine für viele Menschen wichtige Frage ist natürlich, wie es finanziert werden soll. Sie ist sicherlich berechtigt, denn der Staat müsste zur Verteilung eines Grundeinkommens mehr Geld ausgeben als bisher, und dieses Geld müsste zu ihm wieder zurückfließen. Ein Teil davon wäre abgedeckt durch die Einkommenssteuer, die es weiterhin auf die erwerbsmäßige Arbeit gibt, welche die Menschen auch weiterhin erledigen. Götz Werner sah in seinem Modell eine 50%ige Konsumsteuer, vergleichbar mit unserer Umsatzsteuer, vor.

Es gibt seriöse Berechnungen von Ökonomen, die ein Grundeinkommen als finanzierbar halten. Sie sind auf der Webseite vom Netzwerk Grundeinkommen einsehbar. Dies ist übrigens die größte Organisation in Deutschland, die sich mit dem BGE befasst, bei der ich auch Mitglied bin. Zur Frage der Finanzierbarkeit habe ich allerdings noch eine ganz andere Ansicht. Ich wünsche mir ein Grundeinkommen, weil mit ihm der Mensch mit seinen individuellen Bedürfnissen im Mittelpunkt des wirtschaftlichen und politischen Handelns steht. Deshalb stelle ich mir nicht die Frage, wie es finanziert wird, sondern ob es zum Wohle des Menschen oder der Gesellschaft ist.

Diese Frage beantworte ich für mich klar mit Ja. Wenn ich also deshalb entscheide, dass ich das Grundeinkommen einführen will, werde ich einen Weg finden, es zu finanzieren. Oder sollte ich andersherum klein beigeben, weil ich es nicht für finanzierbar halte und es dann doch nicht tun? Wenn ich so verfahre, dann stelle ich wieder das Geld oder unser Finanzsystem in den Mittelpunkt meines Handelns und nicht den Menschen.

Außerdem bin ich der Ansicht, wenn uns etwas wichtig ist und wir etwas Bestimmtes wirklich wollen, sei es eine kostspielige Ausbildung machen, eine teurere Reise erleben, eine Familie gründen oder ein Haus bauen, dann spielt das Geld nicht die entscheidende Rolle. Dann machen wir es einfach, und während wir dies tun, findet sich das Geld oder es öffnen sich Wege, wie der Traum zu verwirklichen ist. So sollten wir auch mit dem Grundeinkommen umgehen. Wir sollten es einfach machen, wenn wir es als Gesellschaft wirklich ernsthaft wollen.

Das BGE ist keine Idee des 21. Jahrhunderts, seine Anfänge finden sich schon im Roman Utopia von Thomas Morus aus dem Jahre 1516. In den 1970er Jahren gab es in den USA und Kanada Experimente mit Auszahlungen von Grundeinkommen. So erhielten von 1974 bis 1977 alle ca. 8000 Einwohner der kanadischen Stadt Dauphin über drei Jahre ein bedingungsloses Einkommen. Das Experiment wurde zwar wissenschaftlich begleitet, doch nie richtig ausgewertet. Es scheint aber so zu sein, dass Gesundheitskosten sanken, und das Wohlbefinden der Menschen stieg.

In den Jahren 2008 und 2009 gab es ein vergleichbares Experiment in Otjivero, einem kleineren Ort in Namibia östlich von Windhuk. Es verhalf den Menschen in dem Ort zu mehr Reichtum und zu einer Steigerung von selbstständigen Tätigkeiten gerade bei Frauen. Die Unterernährung bei Kindern sank fast auf null, und doppelt so viele Kinder beendeten die Grundschule wie bisher. Auch Straftaten, wie Diebstahl, kamen seltener vor.

Im Jahre 2009 wurde die Idee eines BGE durch eine Online-Petition der Erzieherin Susanne Wiest in ganz Deutschland bekannt. Sie erreichte mit über 50.000 Unterschriften eine öffentliche Anhörung im Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages. Im Juni 2016 gab es in der Schweiz eine Volksinitiative für ein Grundeinkommen, welches von der Bevölkerung mit 23% Zustimmung zwar nicht angenommen wurde, doch trotzdem ein großes Interesse an dem Thema zeigte. Ihr Slogan lautete: Was würden Sie arbeiten, wenn für ihr Einkommen gesorgt ist?

Aus meiner Sicht hat diese Volksbefragung in der Schweiz die Idee des Grundeinkommens in Deutschland entscheidend weitergebracht, und so gründete sich im September 2016 gar eine Partei mit dem Namen „Bündnis Grundeinkommen“. Sie schaffte es, 2017 an der Bundestagswahl und 2019 an der Europawahl teilzunehmen, leider wieder mit nur sehr geringen Stimmanteilen von nicht mehr als 0,2%. Das zeigt mir, dass der Erfolg für ein Grundeinkommen nicht an einem Wahlergebnis festgemacht werden kann.

Es gibt für mich mehr Menschen als 0,2% der deutschen wahlberechtigten Bevölkerung, die sich die Einführung eines BGE wünschen. Es war diesen sicherlich aus unterschiedlichsten Gründen nur wichtiger, eine andere Partei zu wählen. Ich denke, dass man mit dem Grundeinkommen nicht wirklich Wahlkampf betreiben kann, wenn tagespolitische Themen, wie die Flüchtlingsströme, die Stabilität des Euro oder der Klimawandel, einem persönlich wichtiger sind und deshalb bei der Wahlentscheidung mehr in den Vordergrund rücken.

Anfang 2018 kam eine aus meiner Sicht spannende Dokumentation über das Grundeinkommen mit dem Titel „Free Lunch Society“ in die deutschen Kinos. An ihm wirkte auch Götz Werner mit und vermittelt für mich sehr anschaulich die Idee des Grundeinkommen. Den Trailer zu dem Film kann man sich unter https://www.youtube.com/watch?v=EyhFoKd7F8I anschauen.

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